25 Mal Vroni

Stollen, Torten und jede Menge Musik

Normalerweise steht Veronika Weber in der Backstube des Ottendorfer Mühlenbäckers und belegt Törtchen und Plunder mit frischem Obst, stellt Sahnelängen her, hilft bei Buttercremetorten, überzieht Kekse mit Kuvertüre und stellt daraus Tortendekoration her. Seit Oktober aber sieht der Alltag der 23-jährigen angehenden Konditorin etwas anders aus – sie ist als 25. Stollenmädchen im Auftrag des goldenen Siegels unterwegs und repräsentiert Dresdens wohl bekanntestes Gebäck. Eine Art Genussbotschafterin war sie schon vor ihrer Wahl zum Stollenmädchen: Seit fünf Jahren in Dresden zu Hause, nahm sie doch jedes Jahr zu Weihnachten den Dresdner Christstollen mit zu ihren Eltern an den Bodensee. 

Wie bist du zum Handwerk gekommen?

Zur Konditorei bin ich gekommen, als ich meiner Familie in einem Anfall von kreativer Langeweile mehrere Dutzend Cupcakes gebacken habe und das Glück auf ihren Gesichtern sah. Es dauerte zwar noch ein Weilchen (und viele hundert Cupcakes), bis ich das Hobby tatsächlich zum Beruf machte, aber das war definitiv der Anfangspunkt.

Warum Konditorin?

Weil ich Menschen glücklich machen möchte, weil ich mich freue, wenn etwas, das von mir geschaffen wurde, anderen Menschen nicht nur optisch gefällt, sondern auch schmeckt. Weil Prozesse beim Backen so faszinierend sind. Weil ich meiner kreativen Seite freien Lauf lassen kann. Weil ich jeden Abend zufrieden mit mir und neugierig auf die Welt ins Bett gehen kann.

Was macht deine Arbeit so spannend?

Ich kann kreativ sein, habe aber genug Richtwerte, zum Beispiel Rezepte, sodass ich nie ohne Idee dastehe. Ich teile gern Freude oder verschenke Kleinigkeiten, und wer freut sich nicht über selbstgemachte Pralinen? Konditorin zu sein ist wahnsinnig spannend: neue Rezepte ausprobieren, alte verbessern, entdecken, warum Gebäcke so luftig werden; im Urlaub regionale Spezialitäten probieren und herauszufinden, was es sein könnte; Schokolade temperieren: winzige Kristalle durch Temperaturänderungen neu ordnen, sodass Schoki plötzlich knackt und schimmert. Torten stapeln und darauf vertrauen, dass die untere die obere hält. So viele Plätzchen backen, bis das ganze Stadtviertel nach Zimt und Mandeln duftet.

Du bist bei Stuttgart und am Bodensee großgeworden und vor fünf Jahren nach Dresden gekommen – war Stollen schon vor deinem Umzug hierher ein Thema?

Um ehrlich zu sein: nein. Aber es war eines der ersten Dinge, die ich in Dresden kennengelernt habe. Ich zog im Oktober hierher, und erkundete im November mit meiner Schwester drei Tage lang die Weihnachtsmärkte. Da haben wir uns fast ausschließlich davon ernährt.

Was findest du am Dresdner Stollen so besonders?

Am Dresdner Stollen finde ich besonders toll, dass die Rezeptur seit Hunderten Jahren festgeschrieben ist, aber trotzdem jeder Bäcker seine eigene Variante herstellen kann. Ich finde es super, dass auf künstliche Konservierungsmittel verzichtet werden muss, und dass nur die besten Zutaten verwendet werden dürfen. Daher kann ich ja davon ausgehen, dass ich immer ein super Produkt bekomme, egal welcher Bäcker es herstellte. Man kann mit jedem Biss Stollen ein kleines bisschen Geschichte von Dresden schmecken.

Was sagt deine Familie zum Traditionsprodukt?

Wenn ich an Weihnachten zu meinen Eltern fahre, gibt es immer Sonderbestellungen. So transportiere ich nicht nur Geschenke und Kuchen, sondern auch mindestens drei verschiedene Sorten Stollen: einen klassischen Dresdner Christstollen, einen Mohnstollen und einen, der immer wechselt. Dazu gab es sogar schon demokratische Abstimmungen.

Wann gibt es bei dir die erste Scheibe Stollen der Saison?

Wir als Familie haben die Stollentradition erst vor kurzem entdeckt. Meist wird der Stollen einfach am ersten Kaffeetisch angeschnitten, an dem alle Geschwister da sind, so bekommen alle etwas. Es ist fast wie eine Eröffnung zum Familienweihnachten. 

Wer oder was inspiriert dich?

Eine Freundin von mir inspiriert mich durch ihre Weltoffenheit und ihr politisches Engagement, mich selbst zu verbessern und auf meine Umwelt zu achten. Ein Cellist namens Pablo Casals inspiriert mich durch ein (möglicherweise ihm angedichtetes) Zitat. Auf die Frage, warum er im Alter von 80 Jahren immer noch mehrere Stunden Cello übe, erwiderte er: „Ich habe das Gefühl, ich werde besser.“ Und meine Familie, jeder auf seine Weise: Meine Mama durch ihre Geduld mit schwierigen Schülern, mein Papa durch seine endlose Motivation und seine Liebe zur Oper, meine Schwester durch ihren freudigen Optimismus, der eine Bruder durch seine Resilienz und der andere durch seine Lebensfreude. Und mein Freund, an dem ich sehe, wie wir beide uns weiterentwickeln.

Was macht dich glücklich?

Freundliche Menschen, gute Bücher, Yoga, Musik, ruhige Minuten, Reisen, Museumsbesuche, Opern, Zitronen und Hummeln.

Was unglücklich?

Unverständnis für Andere- daraus resultierende Ausgrenzung und Rassismus, Hilflosigkeit, der Klimawandel.

Was machst du in deiner Freizeit?

Ich treffe Freunde zu Abendessen und Spieleabenden. Ich gehe ins Orchester, lese an de Elbe oder in meinem Hängesessel, und seit kurzem fahre ich, so oft es geht, Skateboard.

Was bäckst du am liebsten?

Tartes. Ein einfaches Grundgerüst (Mürbeteig und Füllung), mit tausenden Variationen. In letzter Zeit schmeckt mir Apfel mit Mandelmürbeteig besonders.

Was isst du am liebsten, was nicht süß ist?

Als Schwäbin muss ich sagen: selbstgemachte Käsespätzle! Aber im Grunde alles mit Käse: Pizza, Risotto, Ofenkäse, Halloumi, gefüllte Zucchini …

Wo trifft man dich, wenn du gerade nicht in der Konditorei bist?

Zuhause, in der Oper, oder aber in meiner alten WG.

Um früh aufzustehen, brauchst du ...

… mindestens zwei Wecker und einen Chai-Latte.

Was bedeutet Handwerk für dich?

Handwerk ist für mich nicht wegzudenken. Ich bin selbst stolze Handwerkerin als Konditorin, und liebe auch andere handwerklichen Berufe: Mein Vater ist Schreiner, und Sägespäne riechen für mich nach Zuhause. Allein das Gefühl, etwas geschaffen zu haben, sei es nun ein Kuchen, ein Tisch oder gar ein Teil eines Hauses, das ist etwas, was ich nie missen möchte und jedem als Erfahrung wünsche.

Mit wem würdest du gern einen Dresdner Stollen backen?

Mit meiner Mama, weil sie immer begeistert ist, wenn ich ihr neue Backtricks zeige.

Worin liegt für dich der Stollenzauber?

Das Zauberhafte an Stollen ist für mich die dahinterstehende Geschichte, das Wissen, dass ich gute Zutaten esse (und mal nicht auf die Zutatenliste schauen muss), und dass alles auf eine Zeit limitiert ist. Weihnachten in meiner Wahlheimat Dresden beginnt mit Stollen, das ist die beste Jahreszeit.

Was macht für dich Stollengenuss perfekt?

Ein paar Kerzen, schöne Weihnachtsmusik, eine Tasse Tee und ein gutes Gespräch.

Was sollte man in Dresden und seiner Umgebung gesehen haben?

Wenn ich Besuch bekomme, zeige ich Folgendes: In Dresden die Oper, Hof- und Kreuzkirche, den Zwinger mit Nymphenbad, das Albertinum oder die Gemäldegalerie, den Garten der Prinzessin der Johannstadt, den Blick vom Kulturpalast auf den Altmarkt (am besten mit Striezelmarkt), die Mnemosyne am Postplatz. Dann den Fürstenzug und den Stallhof dahinter und in der Neustadt die Kunsthofpassage, die Elbwiesen, und einen kleinen Kräutergarten beim Goldenen Reiter. Außerhalb der Innenstadt Pillnitz, Moritzburg, Meißen, und die Sächsische Schweiz.

Was liebst du an der Weihnachtszeit?

Alles! Die Lichter in den Fenster und über den Straßen. Die Vorfreude, geliebte Menschen wiederzusehen. Plätzchen backen mit zu vielen in einer winzigen Küche. Weihnachtsmusik in unterschiedlichen Genres von Jazz über klassisch bis hin zu Rock'n'Roll. Guten Glühwein mit Amaretto, der alles wärmt. Kinder, die meine lange Weihnachtsmütze bestaunen. Staunende Kinderaugen insgesamt! Heiße Schokolade nach Schneewanderungen trinken. Mit meiner Familie den Baum schmücken, und ein ganzes Liederbuch durchsingen.

Wie hast du reagiert, als du von deiner Wahl zum Stollenmädchen erfahren hast?

Ich wurde von meinem Chef praktisch von der Torte weg ins Büro geschleppt, ich hatte schon Angst, dass ich was angestellt hätte. Als es mir aber gesagt wurde, war ich erst sehr überrascht, da ich ehrlich nicht damit gerechnet habe, und fast schon überfordert. Als ich dann aber merkte, dass mir viel geholfen werden wird und ich wirklich diese unglaubliche Möglichkeit bekomme, war ich überglücklich.

Worauf freust du dich als Stollenmädchen am meisten?

Dieses Kleid zu tragen, eine Tradition zum Leben zu erwecken. Ich freue mich darauf, leuchtende Kinderaugen zu sehen und neue Menschen kennenzulernen. Und, weil ich das letztes Jahr miterleben durfte: die öffentliche Stollenprüfung, bei der auch nach meiner Meinung gefragt wird. Ich freue mich darauf, Teil einer Gesellschaft zu sein, die stolz auf ihr Produkt und ihr Handwerk ist.

Warum sollten junge Menschen zum backenden Handwerk kommen?

Weil man so viel mehr lernt, als wenn man es nur zu Hause für sich macht. Weil es zufrieden macht, Menschen gutes Essen anbieten zu können. Weil durch Routine im Arbeitsalltag bestimmte Sachen im Alltagsleben schneller und einfacher von der Hand gehen (nebenher aufräumen, Obst schneiden).

Wie viele Backbücher hast du?

Zu viele, 19. Davon eins auf Russisch, das ich nicht lesen kann, und eins von ca. 1850, das mich immer wieder daran erinnert, dass wir heute nicht mehr „Eischnee für eine Stunde schlagen“ müssen.