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Vom Mädchen im kornblumenblauen Kleid und dem weißen Riesen

Das Familiengeheimnis

Es war einmal ein Mädchen. Es buk für sein Leben gern, egal, ob Kuchen, Brot oder feinste Kekse. Zusammen mit seinem Bäckermeister und vielen Gesellen stand es Tag ein, Tag aus in der Backstube. Dann nahte der Winter. Das Mädchen hatte nach genauer Anweisung seines Meisters eine Menge Teig verknetet, doch wofür und was genau so alles in der Teigmasse steckte, das wollte ihm der Bäckermeister nicht verraten.

Es sei ein altes Familiengeheimnis, sagte er nur. Bald käme der Tag, an dem auch das Mädchen es erfahren könne, meinte er augenzwinkernd. Auf jeden Fall spürte die junge Bäckerin, dass da etwas Köstliches entstehen könnte, etwas, das die Herzen der Menschen im kalten Winter wärmt und erfreut

 
 

Tanzende Früchte

Nach getaner Arbeit begann das Mädchen, darüber nachzudenken, was sie an jenem Tag so alles in dem Teig gesehen hatte, den sie mit ihren Händen bearbeitet hatte ... und im selben Moment überkam das Mädchen eine seltsame, plötzliche Müdigkeit, sie blinzelte, sah weißes Mehl vor sich, über das kleine, dunkle, getrocknete Früchte tanzten, wie hießen sie doch gleich ... ihm wurde schummrig, gerade noch erreichte das Mädchen die alte Holzpritsche in einer Ecke der Backstube und ließ sich nieder. Sogleich schlief es ein, mit tanzenden, kleinen Trockenfrüchten vor seinem inneren Auge ...

 
 

Aus aller Welt ...

"Wir sind Rosinen“, rief es von fern. „Und wir, wir sind die nahen Verwandten, die Sultaninen“, hallte es aus einer anderen Richtung. Verwundert sah das Mädchen auf. Statt des weißen Bäckergewandes trug es ein wunderschönes, kornblumenblaues Kleid.
 
Und vor ihr auf dem Backstubentisch tanzten Hunderte, nein, Tausende dieser getrockneten Früchte. „Wir kommen von weit her“, riefen sie und schon hallte es durcheinander: „Aus der Türkei!“ „Aus Griechenland“ „Aus Kalifornien!“, und ein paar ganz edel aussehende Exemplare brüllten: „Aus Australien!“ Das Mädchen staunte. „Und wo wollt Ihr hin“, fragte es die sonnengetrockneten einstigen Weintrauben. „In den weißen Riesen natürlich“, kam es wie aus einem Munde.
 
Bevor das Mädchen fragen konnte, was es damit auf sich hat, wurde es wieder unglaublich müde, die Rosinen und Sultaninen verstummten – vielleicht nahmen auch sie diesen frischen Geruch nach Zitrusfrüchten wahr, der plötzlich spürbar wurde ...
 

Zank auf dem Backstubentisch

„Nein, nein, nein, ich bin wichtiger als Du!“ „Was bildest Du Dir ein, natürlich bin ich viel schmackhafter und damit besser als Du!“ Ein lautes Gezanke weckte das Mädchen wieder auf. Es kam vom Backstubentisch. Während sich Rosinen und Sultaninen in einer großen Schüssel friedlich aneinandergekuschelt hatten, gingen winzige gelbe und orange Würfelchen auf dem Tisch aufeinander los. Dabei verströmten sie diesen intensiven Zitrusgeruch.
 
„Was macht ihr da und wer seid ihr“, fragte das Mädchen. Erschrocken hielten die Würfelchen inne. „Ich war einst Teil der Schale der schönsten Zitrone Italiens und heiße daher Zitronat“, brüstete sich ein gelbes, bevor es von einem orangen zur Seite geschubst wurde. „Pah“, rief dieses. „Ich heiße Orangeat und entstamme der Schale einer noch weiter im Süden groß gewordenen Pomeranze – die Frucht ist scheußlich, doch wir Orangeatstücke sind zusammen mit dem Zucker, in dem wir gekocht wurden, einfach unentbehrlich für jeden Bäcker in der Weihnachtszeit!“ Wieder begann ein Zank, bis eine der Rosinen

in der Schüssel laut brüllte: „Ruhe! Ihr seid beide sehr wichtig – ohne Euch gäbe es niemals einen weißen Riesen!“ Der weiße Riese ... schon wieder! Was konnte das nur sein, dachte das Mädchen wieder, doch, man ahnt es, eine große Müdigkeit ließ sie wieder zurück auf die Pritsche fallen ...

 
 

Feinste Ware aus Übersee

Ein Scheppern ließ das Mädchen hochschrecken. Es blinzelte hinüber zum Backstubentisch. Wer trieb da jetzt seinen Schabernack? Zwei Kannen standen da, eine schwarz und eine weiß. Standen sie da? Nein, zumindest eine war in Bewegung, die schwarze schwankte förmlich hin und her und kicherte ab und an. Und schepperte erneut gegen die andere, die weiße Kanne, in der sich nun Unmut regte.
 
„Hör auf, Du Unhold“, rief sie. „Wegen Dir schwappe ich noch über, nicht auszudenken, wenn ich dann nicht ausreiche für den weißen Riesen!“ Bei diesem Stichwort war das Mädchen wach. „Was habt Ihr alle mit dem weißen Riesen zu schaffen und wer seid Ihr?“
 
Die erste Antwort war ein Lallen aus der schwarzen Kanne, gefolgt von einem durchdringend aromatischen Geruch. „Die da ist ständig besoffen“, sagte die weiße Kanne mit Verweis auf die schwarze. „Ich dagegen enthalte Milch, die macht den weißen Riesen geschmeidig.“
 
Wieder ertönte ein Lallen. „Und ichhh ... hicks ... bin voller Rum! Feinste Ware aus Übersee ... hicks ... ich bringe das besondere Aroma für den Riesen mit, aber nur woooooooohhhhl dosiert, hihihi!“ Das Mädchen musste lachen. Da regte sich in einer Ecke der Backstube etwas. Und ein etwas verstimmtes Brummen war zu hören ...
 

Weißer Staub

Das Brummen in der Backstube gipfelte in einem Nieser. Weißer Staub wirbelte auf, über einem großen, offenen Sack. „Ist das zugig hier“, schimpfte es aus seinen Tiefen. „Und alles voller Wichtigtuer! Dabei bin ich der gewichtigste Bestandteil, den es für einen weißen Riesen braucht!“
 
Das Mädchen ging zum Sack hinüber. Sie kannte ihn wohl. „Mehl, Du Gutes, sei gegrüßt! Machst Du den Riesen etwa weiß?“ Das Mehl brummte erneut verstimmt und raunzte nur ein Nein in den Raum. Dann wurde es wieder von Niesanfällen geplagt.
 
„Gute Besserung“, wünschten daraufhin viele unscheinbar braune Würfel. „Das Mehl regt sich über die Kälte auf, naja, wir dagegen mögen es ja eher kühler, damit wir dann zur rechten Zeit zusammen mit Mehl und Milch im Warmen voll aufgehen können und den weißen Riesen so richtig dick machen können!“ Das Mädchen nickte eifrig. Natürlich kannte sie auch die braunen Würfel. Hefe! So langsam setzten sich in ihrem Kopf die Puzzleteile für den weißen Riesen zusammen, wäre da nicht diese bleierne Müdigkeit...
 

Süßlich-fremd, betörend und bitter

„Wir segelten und segelten, hoch schlugen die Wellen, ein Schiffsmaat fiel von Bord und konnte nur mit Müh und Not gerettet werden. Nach vielen Tagen auf der stürmischen See des Pazifik und des Indischen Ozeans liefen wir in einen Hafen ein, palmenbestandene Hügel drängten sich rundherum. Ein neuer Duft erfüllte unseren Laderaum, süßlich-fremd und betörend.
 
So lernten wir uns kennen, ich, Macis von den Molluken, und er, Zimt von Ceylon.“ Gebannt lauschte das Mädchen in die Nacht. Es war vor einiger Zeit erwacht. Auf dem Backstubentisch war wieder Leben eingekehrt. „Bald werden wir gemeinsam im weißen Riesen unser Aroma verströmen. Und Ihr, habt Ihr nicht auch auf der Reise neben uns gesessen“, fragte die Stimme von Macis von den Molluken die Nachbarn auf dem Tisch. „Nein, wir kommen aus Westen, Kumpel. Wir sind Mandeln aus California, you know? Wir haben auch Buddies aus Italien und Spanien. Und ein paar von uns müssen einfach bitter sein, erst dann wird der weiße Riese perfect, you know?“ Das war das letzte, was das Mädchen noch hörte, bevor es wieder in den Schlaf glitt.
 

Halbe-halbe

„Halbe, halbe, das ist wichtig!“ Wer war das? Das Mädchen schlug die Augen auf und sah ... einen großen Klumpen Butter, der sich auf die Waage gewälzt hatte. „Passt“, rief diese und der Klumpen rollte zurück auf seinen Teller. „Was hat es mit dem Halbe-Halbe auf sich“, fragte das Mädchen den Butterklumpen. „Nun“, entgegnete dieser, „Ich darf nur die Hälfte dessen auf die Waage bringen, was das Mehl gebracht hat. Sonst passt unser Verhältnis nicht und der weiße Riese wird gar arg trocken oder viel zu schliff.“
 
Der weiße Riese ... es musste ein wundersames Geschöpf sein, dachte das Stollenmädchen bei sich. Fehlte nicht irgendetwas ganz wichtiges, sollte es sich um etwas handeln, das man backen muss ... „Natürlich fehlt etwas“, kamen dem Mädchen zwei Stimmen zuvor. „Gestatten, Süß und Salzig unser Name. Ohne uns, nunja, wäre alles eine fade Angelegenheit!“ Das Mädchen nickte. Und begann, im Kopf eine Liste zusammenzustellen, was so alles den weißen Riesen ausmacht ... als es alles beisammen hatte, schloss es glücklich die Augen, mit dem festen Vorsatz, gleich morgen dem Bäckermeister von ihren seltsamen Begegnungen zu erzählen.
 

Nur ein Traum?

Mitten in der Nacht, es war noch dunkel und noch kein Bäcker zu sehen, wachte das Mädchen wieder auf. Noch immer trug sie das kornblumenblaue Kleid. Und was war das? In der Luft lag ein süßer Duft. Die Backstube sah so anders aus – mitten im Raum, dort, wo eben noch die Rosinen und Sultaninen getanzt und Orangeat und Zitronat gezankt hatten, die Milch beinahe umgefallen wäre, weil der Rum sie betört hatte, die duftenden Gewürze ihre Abenteuer erzählt hatten ... dort lag etwas Gigantisches, ein großer Laib, zusammengesetzt aus ... was waren das wohl ... ganz viele Kuchen?
 
Die langen, flachen Stücke wurden zusammengehalten von einer hellen Masse aus bester Butter und Zucker. Vorsichtig tastete das Mädchen den etwas dunklen Giganten ab. Und erkannte sie wieder: die Rosinen und Sultaninen, die aus dem gebackenen Teig hervorlugten und miteinander zu flüstern schienen, das Zitronat und Orangeat, nun in trauter Zweisamkeit. Und das Mädchen erinnerte sich ... hatte es nicht selbst eben diesen Teig verknetet? Waren all die köstlichen Dinge, die ihr in den letzten Stunden erschienen waren, dann doch wahrhaftig? In diesem Giganten verbacken? Im nächsten Moment betrat der Bäckermeister die Backstube, in seinen Händen eine große Schüssel...
 
 

Das Geheimnis der heimischen Bäcker und Konditoren

Das Mädchen erschrak. Weder konnte sie ihrem Meister erklären, warum sie zu dieser Stunde in der Backstube war, noch, was der Gigant auf dem Tisch machte und überhaupt, warum trug sie dieses Kleid? Doch der Bäckermeister lächelte gütig und setzte die große Schüssel ab. „Wie ich sehe, hast Du bereits Bekanntschaft gemacht mit dem großen Geheimnis der heimischen Bäcker und Konditoren“, sagte er. „Nun sollst Du uns helfen, das Werk zu vollenden. Nicht umsonst trägst Du ja auch schon das passende Gewand.“
 
Noch bevor das Mädchen etwas erwidern oder fragen konnte, drückte ihr der Meister einen großen Backpinsel in die Hand. Auch die anderen Gesellen erschienen nun, ein jeder mit einem Backpinsel. „Unser Gigant braucht Butter“, sagte der Meister, und alle begannen gemeinsam, die warme Butter aus der Schüssel auf den großen Laib zu streichen.
 

Ein weißer Riese

Kleine, weiße Flocken tanzten vor dem Fenster der Backstube. Es hatte zu schneien begonnen. Und auch auf den dunklen Giganten begann etwas Weißes herabzurieseln. Denn das Buttern war beendet. „Nun fehlt noch das Finale“, hatte der Bäckermeister augenzwinkernd gesagt und eine weitere große Schüssel auf den Tisch gestellt.
 
Und schon verteilten sich die Gesellen wieder, diesmal mit Sieben in der Hand, die gefüllt waren mit süßem Staub – Puderzucker! Dieser verwandelte den dunklen Giganten in einen strahlenden Koloss. „Ein weißer Riese“, murmelte das Mädchen. „Wahrlich, das ist er“, sagte der Bäckermeister. „Er hat auch einen Namen: Er heißt Dresdner Christstollen. Nur bestimmte Bäcker dürfen ihn backen, das Rezept ist ein langgehütetes Familiengeheimnis.
 
Dieser Stollen hier, unser Riese, ist ein ganz besonderer, der einmal im Jahr mithilfe vieler Bäcker und Konditoren erschaffen wird.“ Es herrschte ehrfürchtiges Schweigen in der Backstube. Das Mädchen sprach als Erstes: „Und was passiert nun mit dem weißen Riesen?“
 

Stollen-Botschafterin

Ja, was passiert mit einem weißen, süßen und köstlichen Riesen... Er wird natürlich verzehrt. Das passiert selbstverständlich nicht irgendwie. Sondern mit einem ebenso riesigen Fest! „Schon bald werden wir es gemeinsam mit vielen Bäckern und Konditoren und Tausenden Besuchern feiern“, sagte der Bäckermeister. „Und unser köstlicher Riese wird sehr viele Menschen glücklich machen, wenn wir ihn verteilen.“
 
Der Bäckermeister blickte zum Mädchen. „Du trägst übrigens dieses kornblumenblaue Kleid, weil Du auserwählt bist, die Botschafterin des Dresdner Stollens zu sein“, erklärte er ihm. „Geh hinaus und preise unser einzigartiges Gebäck, erzähle Geschichten von Rosinen und Gewürzen, berichte aus unseren Backstuben und den fleißigen Helfern, Gesellen, Meisterinnen und Meistern.“ Und das tat es.
 
Ein ganzes Jahr lang war das Dresdner Stollenmädchen immer wieder unterwegs, um den Menschen vom süßesten Weihnachtsgeheimnis zu erzählen. Und manchmal, wenn die Leute genau lauschten, konnten auch sie sie hören, die flüsternden Rosinen und das zankende Zitronat und Orangeat.
 

Fotos: Michael Schmidt / schmidt.fm

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