Die Weihnachtsglücksformel

 

Kulturwissenschaftlerin Saskia Rudolph (links  im Bild) und Psychotherapeutin Andrea Horn (rechts im Bild) sind Expertinnen für das gute Leben, psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Mit ihrem Unternehmen, den Spiegelneuronen, widmen sie sich der Positiven Psychologie – einer noch recht jungen Wissenschaft, die erforscht, was das Leben lebenswert macht. Alle Erkenntnisse vermitteln sie wissenschaftlich fundiert, anschaulich und anwendungsbereit in zahlreichen Vorträgen, Workshops und Projekten für verschiedenste Zielgruppen.

 

Macht Weihnachten eigentlich glücklich?

A: Nicht das Fest an sich macht glücklich, sondern dessen Bewertung. Fest steht: Es ist ein Lichtblick in der dunklen Jahreszeit – mit Kerzenschein und vielen Genüssen. Wenn wir dazu noch in schönen Erinnerungen schwelgen und uns geborgen fühlen, dann macht das durchaus glücklich. Für andere kann es auch eine schwierige Zeit sein. Wenn beispielsweise die Lebensumstände aufreibend sind oder sie sich einsam fühlen.

Braucht es immer die großen Anlässe, um sich seines Glücks bewusst zu werden?

A: Schön wäre es, wenn wir uns viel häufiger an die vielen guten Dinge in unserem Leben erinnern und dankbar dafür sind. Denn da gibt es eine ganze Menge. Nur neigen wir Menschen dazu, diese zu übersehen oder sie für selbstverständlich zu halten. Da ist es manchmal gut, einen besonderen Anlass zu haben, um es sich schön zu machen oder auf das eigene Wohlbefinden zu achten. Und, dass Weihnachten nur einmal im Jahr ist und nicht jeden Tag, macht es zu einem solchen besonderen Anlass, den wir dann bewusst(er) erleben.

S: Weihnachten ist das Fest der Liebe und steht für Geborgenheit, Zusammensein, Nächstenliebe und Frieden. Eigentlich gibt es doch nichts Wichtigeres als das. Viele Familien wohnen weit auseinander und nehmen Weihnachten als Anlass, sich zu besuchen. Es vereint. In der modernen Gesellschaft sind die Weihnachtstage aber auch eine willkommene Auszeit von Trubel und Stress. Viele Firmen sind in Betriebsruhe. Und so gibt uns Weihnachten die Möglichkeit zum Innehalten in dieser schnelllebigen Zeit.

 

Haben wir da alle letztes Jahr einen „kollektiven Glücknotstand“ erlebt?

A: Kollektiv nicht, denn die Pandemie betraf zwar alle, aber jede*n auf eine sehr unterschiedliche Art und Weise. In Bezug auf Weihnachten musste häufig das Altbewährte überdacht werden: Können wir so feiern wie sonst? Wahrscheinlich nicht.  Also mussten (neue) Prioritäten aufgestellt und auch kommuniziert werden. Es ging um die Frage, welche Risiken für wen in Ordnung sind. Gerade für die Älteren in Pflegeeinrichtungen war es mitunter sehr einsam. Andere haben es genossen, ganz ruhige Tage im kleinsten Kreis zu verbringen und so mancher hat andere Wege beschritten und die Chance gesehen, Neues auszuprobieren.

 

Was fasziniert uns so an der Adventszeit?

S: Wir Menschen brauchen Rituale, Bräuche, Feste und Traditionen im Leben – und das in jeder Kultur und Religion. Sie geben uns Sicherheit und sind ein Anker in stürmischen Zeiten. Das Weihnachtsfest vereint viele dieser Aspekte: Baumschmücken, Gänsebraten, Plätzchen backen, Stollen essen, Geschenke verpacken und verschenken, Weihnachtslieder singen und natürlich auch religiöse Aspekte wie der Besuch des Krippenspiels. Ganze Tagesabläufe ähneln sich von Jahr zu Jahr. Etwas Vorhersehbares, Verlässliches in dieser so komplexen Welt und einem ereignisreichen Jahr. Das gibt uns Halt und Zuversicht.

Für Kinder ist alles, was Weihnachten ausmacht aufregend, spannend und schön. Und auch wenn wir älter werden, besteht der Wunsch, diese Gefühle wieder zu erleben und in Erinnerungen zu schwelgen.

Ist es wichtig, dass so viele Sinne angesprochen werden?

A: Absolut. Je mehr Sinne angesprochen werden, umso umfassender ist das Erlebnis. Gerade auch Gerüche sind so tief verankert, dass sie blitzschnell Erinnerungen hervorrufen, an die wir so bewusst gar nicht gedacht haben. Wenn wir mit allen Sinnen bei der Sache sind, werden viele gute Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet.

       

Das aktuellste Spiegelneuronen-Projekt: die 6-stündige audible Hörbuchproduktion „Mixtape of your life” mit jeder Menge Einblicken in das gute Leben, mentale Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Genau die richtige Mischung aus Wissen, Geschichten und Übungen mit denen man seinem persönlichen Soundtrack des Lebens auf die Spur kommt.

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Das gemeinsame Essen, ja sogar das Zubereiten, ist ja auch so ein Ritual. Schmeckt die Gans so gut wie im letzten Jahr? Wie bei der Oma? Warum ist uns das so wichtig?

S: Rituale erinnern uns an Vergangenes, was es in der Art vielleicht nicht mehr gibt.  Vielleicht kann das Familienmitglied das Essen dieses Jahr nicht (mehr) zubereiten – umso wichtiger werden diese Traditionen. Um sich liebevoll zu erinnern, zurückzudenken, Gutes wiederzubeleben und zu bewahren.

Wichtig ist jedoch, dass es nicht in Perfektionismus und Stress umschlägt. Altes und gut Bewährtes spielt eine wichtige Rolle, doch Veränderung darf sein, Traditionen entwickeln sich weiter und bekommen ein neues Gewand.

Und vor allem: nicht eine*r allein ist zuständig für das Essen. Alle helfen gemeinsam bei der Zubereitung und beim Aufräumen.

 

Der Dresdner Christstollen ist für viele eine feste Institution zum Weihnachtsfest. Wie erklären Sie sich diese Faszination?

 

S: Viele verbinden ihn mit Erinnerungen, leben vielleicht inzwischen gar nicht mehr in der Region, sondern in weiter Ferne. Dennoch ist der Stollen Teil ihres Weihnachtsrituals, ihrer Tradition – ein „Muss“ an den Festtagen. Dazu kommt natürlich auch der symbolische Wert des Stollens.  Das „Jesuskind“ - in ein weißes Laken gehüllt.

Genuss ist tatsächlich eine Quelle des Glücks und der Lebenszufriedenheit. Und überall zu finden. Und mit allen Sinnen möglich.
Das bestätigt auch die Wissenschaft und legt unserem Genussempfinden sieben Regeln zugrunde, die das Genießen zu einem besonders ganzheitlichen Erlebnis machen. Vielleicht ist das auch die Weihnachtsglücksformel.

I. Genuss braucht Zeit.
II. Genuss muss erlaubt sein.
III. Genuss geht nicht nebenbei.
IV. Weniger ist mehr.
V. Aussuchen, was einem gut tut.
VI. Genuss braucht Erfahrung.
VII. Genuss ist alltäglich.

Was brauchen wir denn alles, um glücklich zu sein?

 

A: Die Wissenschaft der Positiven Psychologie beschäftigt sich mit den Faktoren, die unsere Lebenszufriedenheit stärken. Da gibt es eine ganze Menge. Neben inneren Faktoren, wie eigenen Charakterstärken (v.a. Neugier, Optimismus und Dankbarkeit), Talenten, den Fähigkeiten sich zu reflektieren, mit schweren Situationen umzugehen und zu entspannen sind auch äußere Faktoren wichtig. Da zählen vor allem die guten Beziehungen zu unseren Liebsten.

 

Kann man Glück planen? Ist Perfektion ein Garant für’s Weihnachtsglück?

S: Bis zu einem gewissen Grad ist es planbar. Wenn ich weiß, was mir gefällt und wie ich Weihnachten gern begehe, kann ich es nach meinen Wünschen umsetzen. Perfektion löst aber Druck und Anspannung aus. Und manches ist nicht kontrollierbar. Dann lieber den Fokus auf die wichtigsten Dinge legen.

Was gehört denn für Sie unbedingt zu einem gelungenen Weihnachtsfest?

S: Ganz viel ZEIT mit den Menschen, die ich liebe. Ruhe. Spaziergänge. Am besten im Schnee. Und meine Tochter dabei beobachten, wie alles ein Wunder für sie ist.

Wie und mit wem essen Sie Dresdner Christstollen am liebsten?

A: Gemeinsam mit einem schönen Kaffee, bei Kerzenlicht, einer Pyramide und Räuchermann.